Pres­se­mit­tei­lung des BGH Nr. 199/2017 vom 21.12.2017

Antrag eines isla­mis­ti­schen Ter­ror-Gefähr­ders auf Aus­set­zung der Abschie­bungs­haft erfolglos 

Beschluss vom 21. Dezem­ber 2017 – V ZB 249/17

Der u.a. für Abschie­bungs­haft­sa­chen zustän­di­ge V. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat heu­te den Eil­an­trag eines Aus­län­ders, von dem nach Ein­schät­zung der Sicher­heits­be­hör­den eine Ter­ror­ge­fahr aus­geht (soge­nann­ter “Gefähr­der”), abge­wie­sen. Der Betrof­fe­ne befin­det sich zur Siche­rung sei­ner Abschie­bung nach Alge­ri­en in Abschie­bungs­haft. Er hat­te beim Bun­des­ge­richts­hof bean­tragt, im Wege der einst­wei­li­gen Anord­nung die Voll­zie­hung der Abschie­bungs­haft auszusetzen. 

Sach­ver­halt:

Der Betrof­fe­ne ist alge­ri­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger und reis­te erst­mals Anfang 2003 in das Bun­des­ge­biet ein. Am 16. März 2017 ord­ne­te der Sena­tor für Inne­res der Frei­en Han­se­stadt Bre­men gemäß § 58a Auf­enthG die Abschie­bung des Betrof­fe­nen nach Alge­ri­en an, weil von die­sem die Gefahr eines ter­ro­ris­ti­schen Anschlags aus­ge­he. Am 21. März 2017 ord­ne­te das Amts­ge­richt gegen den Betrof­fe­nen Haft zur Siche­rung sei­ner Abschie­bung nach Alge­ri­en an. Die Haft­an­ord­nung wur­de mehr­fach verlängert. 

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt lehn­te mit Beschluss vom 31. Mai 2017 (1 VR 4.17) den gegen die Abschie­bungs­an­ord­nung gerich­te­ten Eil­an­trag des Betrof­fe­nen mit der Maß­ga­be ab, dass er erst nach Erlan­gung einer Zusi­che­rung einer alge­ri­schen Regie­rungs­stel­le abge­scho­ben wer­den dür­fe, wonach ihm in Alge­ri­en kei­ne men­schen­rechts­wid­ri­ge Behand­lung dro­he. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nahm die Ver­fas­sungs­be­schwer­de des Betrof­fe­nen mit Beschluss vom 24. Juli 2017 (2 BvR 1487/17) nicht zur Ent­schei­dung an. 

Die Bemü­hun­gen des Aus­wär­ti­gen Amtes um eine ent­spre­chen­de Erklä­rung der alge­ri­schen Regie­rung führ­ten zu einer Ver­bal­no­te vom 30. Juli 2017, in der sich die alge­ri­sche Regie­rung mit der Rück­füh­rung des Betrof­fe­nen ein­ver­stan­den erklär­te und die­ses Ein­ver­ständ­nis mit der Fest­stel­lung ver­band, dass der Betrof­fe­ne in Alge­ri­en auf jus­ti­zi­el­ler Ebe­ne unbe­kannt und gegen ihn kein Straf­ver­fah­ren anhän­gig sei. Hin­sicht­lich der ver­lang­ten diplo­ma­ti­schen Zusi­che­rung zum Schutz des Betrof­fe­nen vor einer men­schen­rechts­wid­ri­gen Behand­lung wird all­ge­mein dar­auf hin­ge­wie­sen, dass in Alge­ri­en die unab­hän­gi­ge Jus­tiz für die Wah­rung aller in der Ver­fas­sung ver­an­ker­ten und durch die alge­ri­schen Geset­ze sowie die in inter­na­tio­na­len Über­ein­kom­men fest­ge­leg­ten Rech­te und Grund­frei­hei­ten in Bezug auf die Nicht­an­wen­dung stren­ger, unmensch­li­cher oder ernied­ri­gen­der Behand­lung sor­ge. Die­se Erklä­rung hielt das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt für nicht aus­rei­chend und unter­sag­te der Behör­de mit Beschluss vom 13. Novem­ber 2017 (1 VR 13.17), den Betrof­fe­nen auf der Grund­la­ge der bis­her ein­ge­gan­ge­nen Ver­bal­no­ten des alge­ri­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums nach Alge­ri­en abzuschieben. 

Dar­auf­hin hat das Amts­ge­richt mit Beschluss vom 16. Novem­ber 2017 den Antrag der Behör­de auf wei­te­re Ver­län­ge­rung der Abschie­bungs­haft abge­lehnt. Das Land­ge­richt hin­ge­gen hat mit Beschluss vom 28. Novem­ber 2017 die Abschie­bungs­haft gegen den Betrof­fe­nen bis zum 16. Janu­ar 2018 ver­län­gert. Zur Begrün­dung hat es aus­ge­führt, dass die Behör­de in Zusam­men­ar­beit mit dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um zwi­schen­zeit­lich einen kon­kre­ten neu­en Weg auf­ge­zeigt habe, auf dem Alge­ri­en zur Abga­be der Zusi­che­rung bewegt wer­den sol­le. Über die Poli­zei­be­hör­den sol­le ein erneu­ter Ver­such unter­nom­men wer­den. Es bestehe eine rea­lis­ti­sche Mög­lich­keit, Alge­ri­en zum Ein­len­ken zu bewe­gen. Daher erschei­ne es mög­lich, den Betrof­fe­nen inner­halb der gemäß § 62 Abs. 4 Satz 3 Auf­enthG acht­zehn Mona­te betra­gen­den Hafthöchst­dau­er nach Alge­ri­en abzuschieben. 

Der Betrof­fe­ne wen­det sich gegen die Ent­schei­dung des Land­ge­richts mit der Rechts­be­schwer­de. Zugleich hat er bean­tragt, im Wege der einst­wei­li­gen Anord­nung die Voll­zie­hung des Haft­ver­län­ge­rungs­be­schlus­ses bis zur Ent­schei­dung über die Rechts­be­schwer­de auszusetzen. 

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der Bun­des­ge­richts­hof hat den Antrag des Betrof­fe­nen, die Voll­zie­hung der Siche­rungs­haft aus­zu­set­zen, zurückgewiesen. 

Über die bean­trag­te einst­wei­li­ge Anord­nung ist nach pflicht­ge­mä­ßem Ermes­sen zu ent­schei­den. Bei einem Aus­län­der, der gemäß § 58a Abs. 1 Auf­enthG auf­grund einer auf Tat­sa­chen gestütz­ten Pro­gno­se zur Abwehr einer beson­de­ren Gefahr für die Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder einer ter­ro­ris­ti­schen Gefahr abge­scho­ben wer­den soll, sind in die erfor­der­li­che Abwä­gung u.a. auch die erheb­li­chen Gefah­ren für Leib und Leben Drit­ter oder für bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit ein­zu­be­zie­hen. Die Aus­set­zung der Voll­zie­hung kommt in sol­chen Fäl­len regel­mä­ßig nur in Betracht, wenn es auf­grund der gebo­te­nen sum­ma­ri­schen Prü­fung zumin­dest über­wie­gend wahr­schein­lich ist, dass die Rechts­be­schwer­de des Betrof­fe­nen Erfolg haben wird. Das ist hier nicht der Fall. 

1. Die Recht­mä­ßig­keit des ange­grif­fe­nen Haft­ver­län­ge­rungs­be­schlus­ses des Land­ge­richts, der auf den Haft­grund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a Auf­enthG (Abschie­bung von Gefähr­dern) gestützt ist, hängt zunächst davon ab, ob gegen den Betrof­fe­nen über­haupt eine über die grund­sätz­lich gel­ten­de Höchst­frist von sechs Mona­ten (§ 62 Abs. 4 Satz 1 Auf­enthG) hin­aus­ge­hen­de Haft­dau­er ange­ord­net wer­den konn­te. Das dürf­te zu beja­hen sein. Nach § 62 Abs. 4 Satz 3 Auf­entG ist eine Ver­län­ge­rung der Abschie­bungs­haft um höchs­tens zwölf Mona­te mög­lich (ins­ge­samt also eine Haft­dau­er von 18 Mona­ten), soweit die Haft – wie hier – auf der Grund­la­ge des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a Auf­enthG ange­ord­net wor­den ist und sich die Über­mitt­lung der für die Abschie­bung erfor­der­li­chen Unter­la­gen durch den zur Auf­nah­me ver­pflich­te­ten oder berei­ten Dritt­staat ver­zö­gert. Die Durch­füh­rung der Abschie­bung des Betrof­fe­nen konn­te noch nicht erfol­gen, weil Alge­ri­en eine Zusi­che­rung, die den Anfor­de­run­gen ent­spricht, die das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt und das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt for­mu­liert haben, bis­lang nicht abge­ge­ben hat. Bei der Zusi­che­rung dürf­te es sich um eine für die Abschie­bung erfor­der­li­che Unter­la­ge durch den zur Auf­nah­me ver­pflich­te­ten oder berei­ten Dritt­staat im Sin­ne von § 62 Abs. 4 Satz 3 Auf­entG han­deln, deren Über­mitt­lung sich verzögert. 

2. Es ist auch nicht über­wie­gend wahr­schein­lich, dass die Rüge des Betrof­fe­nen, es feh­le an einer gesi­cher­ten Pro­gno­se des Land­ge­richts, dass die für eine Abschie­bung erfor­der­li­che Zusi­che­rung Alge­ri­ens inner­halb der vor­ge­se­he­nen Zeit erlangt wer­den kön­ne, Erfolg hat. Die für die Abschie­bung zustän­di­ge Behör­de ist nur damit geschei­tert, die erfor­der­li­che Garan­tie­er­klä­rung auf diplo­ma­ti­schem Wege, also unter Ein­schal­tung des deut­schen Aus­wär­ti­gen Amtes und des alge­ri­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums zu erlan­gen. Dies schließt aber nicht aus, dass eine sol­che Zusi­che­rung auf dem Wege einer unmit­tel­ba­ren Kon­takt­auf­nah­me mit dem zustän­di­gen Fach­mi­nis­te­ri­um, hier dem für die Lei­tung der Sicher­heits­be­hör­den zustän­di­gen Innen­min­s­te­ri­um, erreicht wird. 

Vor­in­stan­zen:
Amts­ge­richt Bre­men – Beschluss vom 16.11.2017 – 92 B XIV 347/17
Land­ge­richt Bre­men – Beschluss vom 28.11.2017 – 10 T 614/17

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2017&Sort=3&nr=80425&pos=0&anz=199