BGH, Beschluss vom 17.01.2023, AZ 3 StR 230/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 11/2023, vom 17.01.2023

Bun­des­ge­richts­hof bestä­tigt Ver­ur­tei­lung wegen Völ­ker­mor­des durch schwe­re Miss­hand­lung zwei­er Jesidinnen

Beschluss vom 30. Novem­ber 2022 – 3 StR 230/22

Der Bun­des­ge­richts­hof hat die Revi­si­on eines 30-jäh­ri­gen Ange­klag­ten gegen das Urteil des Ober­lan­des­ge­richts Frank­furt am Main weit­ge­hend ver­wor­fen, mit dem der ira­ki­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge wegen Völ­ker­mor­des in Tat­ein­heit mit Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, mit Kriegs­ver­bre­chen gegen Per­so­nen und mit Kör­per­ver­let­zung mit Todes­fol­ge zu lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt wor­den war.

1. Nach den vom Ober­lan­des­ge­richt getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen betä­tig­te sich der Ange­klag­te min­des­tens seit dem März 2015 im syri­schen Rak­ka für die aus­län­di­sche ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung “Isla­mi­scher Staat” (IS) und hieß deren Vor­ge­hen gegen die reli­giö­se Grup­pe der Jesi­den gut. Im Juni 2015 kauf­te er eine jesi­di­sche Frau sowie deren klei­ne Toch­ter und hielt sie als Skla­vin­nen. Im Rah­men des mili­tä­ri­schen Angriffs des IS auf die in der ira­ki­schen Sind­schar-Regi­on leben­den Jesi­den im Som­mer 2014 waren sie gefan­gen­ge­nom­men und ver­schleppt wor­den. Etwa zwei Wochen nach dem Kauf ver­brach­te der Ange­klag­te sie aus Syri­en in den Irak nach Fal­lud­scha. Dort zwang er sie über meh­re­re Wochen zum Auf­ent­halt, die Frau dar­über hin­aus zur Tätig­keit in sei­nem Haus­halt. Er bestimm­te voll­stän­dig über das Leben der bei­den, unter­sag­te ihnen, das Anwe­sen zu ver­las­sen, teil­te ihnen zu wenig Nah­rung zu, zwang sie zu regel­mä­ßi­gen isla­mi­schen Gebets­ri­ten und miss­han­del­te sie täg­lich, um sie gefü­gig zu hal­ten. Er ver­ur­sach­te bei ihnen gra­vie­ren­de kör­per­li­che und see­li­sche Beein­träch­ti­gun­gen. Hier­mit beab­sich­tig­te er, im Sin­ne der IS-Ideo­lo­gie ziel­ge­rich­tet einen Bei­trag dazu zu leis­ten, zur Errich­tung eines isla­mi­schen Kali­fats die jesi­di­sche Reli­gi­on, das Jesi­den­tum als sol­ches und des­sen — aus sei­ner Sicht wert­lo­se — Ange­hö­ri­ge zu vernichten.

An einem Tag im August oder Sep­tem­ber 2015 fes­sel­te er das fünf­jäh­ri­ge Mäd­chen zur Mit­tags­zeit mit den Hän­den in Kopf­hö­he an das im Hof sei­nes Anwe­sens befind­li­che Außen­git­ter des Wohn­zim­mer­fens­ters. Er woll­te es bestra­fen und dis­zi­pli­nie­ren, weil es krank­heits­be­dingt auf eine Matrat­ze uri­niert hat­te. Das somit bewe­gungs­un­fä­hi­ge Kind war bei star­ker Hit­ze direk­ter Son­nen­ein­strah­lung aus­ge­setzt. Nach des­sen Fixie­rung kehr­te der Ange­klag­te ins Haus zurück. Als er sich nach eini­ger Zeit wie­der in den Hof begab, hat­te die Fünf­jäh­ri­ge zwi­schen­zeit­lich einen Hitz­schlag erlit­ten. Wie er hät­te vor­her­se­hen kön­nen, war sie dar­an ent­we­der bereits ver­stor­ben oder ver­starb in der unmit­tel­ba­ren Folgezeit.

2. Die auf die Rügen der Ver­let­zung for­mel­len und mate­ri­el­len Rechts gestütz­te Revi­si­on des Ange­klag­ten hat ledig­lich inso­weit Erfolg gehabt, als der für Straf­ta­ten nach dem Völ­ker­straf­ge­setz­buch (VStGB) zustän­di­ge 3. Straf­se­nat auf die Sach­be­schwer­de hin den Schuld­spruch geän­dert hat. Im Übri­gen hat er das Rechts­mit­tel als unbe­grün­det verworfen.

Der 3. Straf­se­nat hat die Urteils­for­mel dahin geän­dert, dass der Ange­klag­te auf der Grund­la­ge der rechts­feh­ler­frei getrof­fe­nen Urteils­fest­stel­lun­gen des Völ­ker­mor­des in Tat­ein­heit mit den Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung, Fol­ter, Zufü­gung schwe­rer kör­per­li­cher oder see­li­scher Schä­den und Frei­heits­ent­zie­hung jeweils mit Todes­fol­ge sowie mit dem Kriegs­ver­bre­chen gegen Per­so­nen durch Fol­ter mit Todes­fol­ge schul­dig ist. Die Grün­de der Ent­schei­dung befas­sen sich inso­weit im Wesent­li­chen mit dem Ver­bre­chen des Völ­ker­mor­des gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB. Hier­nach tra­gen die Urteils­fest­stel­lun­gen die Wer­tung, dass der Ange­klag­te in der Absicht, die reli­giö­se Grup­pe der Jesi­den zu zer­stö­ren, vor­sätz­lich dem fünf­jäh­ri­gen Mäd­chen schwe­re kör­per­li­che Schä­den und des­sen Mut­ter schwe­re see­li­sche Schä­den zufüg­te. Soweit das Ober­lan­des­ge­richt ihn dar­über hin­aus wegen eben­falls tat­ein­heit­li­cher Bei­hil­fe zu dem Kriegs­ver­bre­chen gegen Per­so­nen durch Ver­trei­bung und Kör­per­ver­let­zung mit Todes­fol­ge ver­ur­teilt hat­te, hat dies hin­ge­gen der revi­si­ons­recht­li­chen Nach­prü­fung nicht stand­ge­hal­ten. Die lebens­lan­ge Frei­heits­stra­fe ist von der Schuld­spruch­än­de­rung unbe­rührt geblieben.

Mit der Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs ist das Straf­ver­fah­ren nun­mehr rechts­kräf­tig abgeschlossen.

Vor­in­stanz:
OLG Frank­furt am Main – 5 — 3 StE 1/20 — 4 — 1/20 – Beschluss vom 30. Novem­ber 2021

Die maß­geb­li­che Vor­schrift lautet:

§ 6 VStGB – Völkermord

(1) Wer in der Absicht, eine natio­na­le, ras­si­sche, reli­giö­se oder eth­ni­sche Grup­pe als sol­che ganz oder teil­wei­se zu zerstören,
1. ein Mit­glied der Grup­pe tötet,
2. einem Mit­glied der Grup­pe schwe­re kör­per­li­che oder see­li­sche Schä­den, ins­be­son­de­re der in § 226 des Straf­ge­setz­bu­ches bezeich­ne­ten Art, zufügt,
3. die Grup­pe unter Lebens­be­din­gun­gen stellt, die geeig­net sind, ihre kör­per­li­che Zer­stö­rung ganz oder teil­wei­se herbeizuführen,
4. Maß­re­geln ver­hängt, die Gebur­ten inner­halb der Grup­pe ver­hin­dern sollen,
5. ein Kind der Grup­pe gewalt­sam in eine ande­re Grup­pe überführt,
wird mit lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe bestraft.
(2) …

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