BGH, Beschluss vom 22.11.2022, AZ StB 43/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 167/2022, vom 22.11.2022

Bun­des­ge­richts­hof: der­zeit kei­ne Straf­rest­aus­set­zung für den NSU-Unter­stüt­zer Ralf W.

Beschluss vom 2. Novem­ber 2022 – StB 43/22

Der Bun­des­ge­richts­hof hat die Ent­schei­dung des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen bestä­tigt, mit der es den Antrag des im sog. NSU-Ver­fah­ren ver­ur­teil­ten Ralf W. zurück­ge­wie­sen hat, die Voll­stre­ckung des Rests der gegen ihn ver­häng­ten Haft­stra­fe zur Bewäh­rung auszusetzen.

1. Das Ober­lan­des­ge­richt hat­te Ralf W. am 11. Juli 2018 der Bei­hil­fe zu neun Fäl­len des Mor­des schul­dig gespro­chen und gegen ihn eine Frei­heits­stra­fe von zehn Jah­ren ver­hängt. Seit dem 13. August 2021 ist das Urteil, soweit es die­sen Ver­ur­teil­ten betrifft, rechts­kräf­tig, nach­dem der Bun­des­ge­richts­hof am 12. August 2021 sei­ne Revi­si­on ver­wor­fen hat­te (s. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 157/2021). Nach den Urteils­fest­stel­lun­gen ver­schaff­te Ralf W. im Früh­jahr 2000 — gemein­sam mit einem Kom­pli­zen — den Mit­glie­dern der ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung “Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund” (NSU) Böhn­hardt und Mund­los auf deren Ver­lan­gen eine Pis­to­le samt Schall­dämp­fer und Muni­ti­on. Mit der Waf­fe erschos­sen die bei­den von Sep­tem­ber 2000 bis April 2006 im Bun­des­ge­biet aus aus­län­der­feind­li­chen und ras­sis­ti­schen Moti­ven heim­tü­ckisch acht tür­kisch­stäm­mi­ge Män­ner und einen grie­chisch­stäm­mi­gen Mann.

Vom 29. Novem­ber 2011 bis zum 17. Juli 2018 war gegen den Ver­ur­teil­ten Unter­su­chungs­haft voll­zo­gen wor­den. Infol­ge deren gesetz­lich gebo­te­ner Anrech­nung auf die ver­häng­te Frei­heits­stra­fe ist bis zur Ver­bü­ßung von zwei Drit­teln (sechs Jah­re und acht Mona­te) nur noch ein Rest von elf Tagen Straf­haft ver­blie­ben. Im Hin­blick auf die noch zu tref­fen­de Ent­schei­dung über die Straf­rest­aus­set­zung hat der Gene­ral­bun­des­an­walt trotz der zwi­schen­zeit­lich ein­ge­tre­te­nen Rechts­kraft vor­läu­fig von einer Ladung des Ver­ur­teil­ten zum Straf­an­tritt abgesehen.

Mit dem ange­foch­te­nen Beschluss hat das Ober­lan­des­ge­richt, nach­dem es ein psych­ia­tri­sches Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten zur Gefähr­lich­keit des Ver­ur­teil­ten ein­ge­holt hat­te, die Aus­set­zung der Voll­stre­ckung des Rests der Haft­stra­fe zur Bewäh­rung abge­lehnt. Hier­ge­gen hat er das Rechts­mit­tel der sofor­ti­gen Beschwer­de erhoben.

2. Der nach der Geschäfts­ver­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs für Staats­schutz­straf­sa­chen zustän­di­ge 3. Straf­se­nat hat die sofor­ti­ge Beschwer­de ver­wor­fen. Er ist wie das Ober­lan­des­ge­richt nach Wür­di­gung der rele­van­ten Umstän­de zu dem Ergeb­nis gelangt, dass eine Straf­rest­aus­set­zung jeden­falls des­halb aus­schei­det, weil der­zeit dem Ver­ur­teil­ten kei­ne güns­ti­ge Pro­gno­se für eine Leg­al­be­wäh­rung in Frei­heit gestellt und somit unter Berück­sich­ti­gung des Sicher­heits­in­ter­es­ses der All­ge­mein­heit eine vor­zei­ti­ge Haft­ver­scho­nung nicht ver­ant­wor­tet wer­den kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB). Der 3. Straf­se­nat hat dar­auf hin­ge­wie­sen, dass wegen des sehr hohen Gewichts der durch einen mög­li­chen Rück­fall bedroh­ten Rechts­gü­ter beson­ders stren­ge Anfor­de­run­gen an die Erwar­tung künf­ti­ger Straf­frei­heit zu stel­len sind. Er hat ein wei­ter­hin vom Ver­ur­teil­ten aus­ge­hen­des Risi­ko nicht in eige­nen Gewalt­ta­ten, son­dern im künf­ti­gen mög­lichst unauf­fäl­li­gen Unter­stüt­zen frem­der Gewalt­ta­ten gese­hen, soll­te ein ent­spre­chen­des Ansin­nen aus der rechts­ex­tre­mis­ti­schen und neo­na­zis­ti­schen Sze­ne an ihn her­an­ge­tra­gen wer­den. Mit der Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs ist der ange­foch­te­ne Beschluss rechtskräftig.

Vor­in­stanz:
OLG Mün­chen – 6 St 6/21 (10) – Beschluss vom 1. Sep­tem­ber 2022

Maß­geb­li­che Vorschriften:
§ 57 Aus­set­zung des Straf­res­tes bei zei­ti­ger Freiheitsstrafe

(1) 1Das Gericht setzt die Voll­stre­ckung des Res­tes einer zei­ti­gen Frei­heits­stra­fe zur Bewäh­rung aus, wenn
1.zwei Drit­tel der ver­häng­ten Stra­fe, min­des­tens jedoch zwei Mona­te, ver­büßt sind,
2.dies unter Berück­sich­ti­gung des Sicher­heits­in­ter­es­ses der All­ge­mein­heit ver­ant­wor­tet wer­den kann, und
3.die ver­ur­teil­te Per­son einwilligt.
2Bei der Ent­schei­dung sind ins­be­son­de­re die Per­sön­lich­keit der ver­ur­teil­ten Per­son, ihr Vor­le­ben, die Umstän­de ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rück­fall bedroh­ten Rechts­guts, das Ver­hal­ten der ver­ur­teil­ten Per­son im Voll­zug, ihre Lebens­ver­hält­nis­se und die Wir­kun­gen zu berück­sich­ti­gen, die von der Aus­set­zung für sie zu erwar­ten sind.
(2) Schon nach Ver­bü­ßung der Hälf­te einer zei­ti­gen Frei­heits­stra­fe, min­des­tens jedoch von sechs Mona­ten, kann das Gericht die Voll­stre­ckung des Res­tes zur Bewäh­rung aus­set­zen, wenn
1.…
2. die Gesamt­wür­di­gung von Tat, Per­sön­lich­keit der ver­ur­teil­ten Per­son und ihrer Ent­wick­lung wäh­rend des Straf­voll­zugs ergibt, daß beson­de­re Umstän­de vorliegen,

und die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen des Absat­zes 1 erfüllt sind.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…