BGH, Beschluss vom 31.08.2023, AZ 5 StR 447/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 148/2023, vom 31.08.2023

Revi­sio­nen der Staats­an­walt­schaft füh­ren zur Urteils­auf­he­bung in der soge­nann­ten “Ham­bur­ger Rolling-Stones-Affäre”

Urteil vom 31. August 2023 — 5 StR 447/22

Der in Leip­zig ansäs­si­ge 5. Straf­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat am 29. August 2023 über die Revi­sio­nen der Staats­an­walt­schaft gegen das am 8. April 2022 ergan­ge­ne Urteil des Land­ge­richts Ham­burg in der soge­nann­ten “Rol­ling-Stones-Affä­re” ver­han­delt (sie­he Pres­se­mit­tei­lung Nr. 121/2023) und mit Urteil vom heu­ti­gen Tag entschieden.

Gegen­stand des Straf­ver­fah­rens sind Kor­rup­ti­ons­vor­wür­fe im Zusam­men­hang mit einem Kon­zert der Rol­ling Stones am 9. Sep­tem­ber 2017 im Ham­bur­ger Stadt­park. Nach den Fest­stel­lun­gen des Land­ge­richts for­der­te der dama­li­ge Bezirks­amts­lei­ter R. bei den Ver­trags­ver­hand­lun­gen über die Nut­zung des Stadt­parks vom Kon­zert­ver­an­stal­ter Frei­kar­ten und Optio­nen zum Erwerb von Kar­ten außer­halb des regu­lä­ren Ver­kaufs. Deren Geschäfts­füh­rer K. und der zustän­di­ge Pro­jekt­lei­ter W. über­lie­ßen ihm dar­auf­hin 100 Frei­kar­ten im Gesamt­wert von 14.743,90 Euro und 300 Kauf­op­tio­nen. Die Frei­kar­ten ver­teil­te R. im Bezirks­amt; unter ande­rem erhielt der dama­li­ge Dezer­nats­lei­ter O. Frei­kar­ten, aber auch Aus­zu­bil­den­de und sei­ne Sekre­tä­rin. O. ver­fass­te in Abspra­che mit R. ein rück­da­tier­tes Schrei­ben, um eine Geneh­mi­gung der Annah­me der “Frei­kar­ten­spen­de” nach den dafür gel­ten­den Dienst­vor­schrif­ten zu fin­gie­ren. Unter Nut­zung der von R. ange­bo­te­nen Kauf­op­tio­nen erwar­ben drei Ham­bur­ger Staats­rä­te Kar­ten für die Ver­an­stal­tung. R. selbst nahm zudem auf Ein­la­dung von K. und W. an dem Kon­zert und an einem vor­he­ri­gen Abend­emp­fang teil.

Das Land­ge­richt hat den vor­ma­li­gen Bezirks­amts­lei­ter R. wegen Vor­teils­an­nah­me und Vor­teils­ge­wäh­rung und den ehe­ma­li­gen Dezer­nats­lei­ter O. wegen Vor­teils­an­nah­me sowie wegen Bei­hil­fe zur Vor­teils­an­nah­me und Vor­teils­ge­wäh­rung jeweils zu Geld­stra­fen ver­ur­teilt. Zudem hat es die Ein­zie­hung des Wer­tes der Frei­kar­ten ange­ord­net. Von einer Ver­ur­tei­lung des Ange­klag­ten R. wegen Untreue oder Bestech­lich­keit und des Ange­klag­ten O. wegen Bei­hil­fe hier­zu hat es abge­se­hen, weil es nicht fest­zu­stel­len ver­mocht hat, dass die Höhe des Nut­zungs­ent­gelts unan­ge­mes­sen nied­rig gewe­sen oder durch die Gewäh­rung der Frei­kar­ten beein­flusst wor­den wäre. Eben­so wenig hat das Land­ge­richt es als straf­bar bewer­tet, dass R. eine Ein­la­dung zu Abend­emp­fang und Kon­zert ange­nom­men hat; dies habe der Erfül­lung legi­ti­mer Reprä­sen­ta­ti­ons­auf­ga­ben gedient. Den Geschäfts­füh­rer des Kon­zert­ver­an­stal­ters K. und den für die Ver­an­stal­tung zustän­di­gen Pro­jekt­lei­ter W. hat es von den Vor­wür­fen der Bestechung freigesprochen.

Der Bun­des­ge­richts­hof hat das Urteil ins­ge­samt auf­ge­ho­ben und die Sache zu neu­er Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an eine ande­re Straf­kam­mer des Land­ge­richts Ham­burg zurück­ver­wie­sen. Die bei einer Revi­si­on der Staats­an­walt­schaft stets erfor­der­li­che umfas­sen­de Urteils­über­prü­fung (§ 301 StPO) hat die Ange­klag­ten begüns­ti­gen­de Rechts­feh­ler erge­ben, aber auch sol­che zum Nach­teil der ver­ur­teil­ten Ange­klag­ten R. und O. Der Senat konn­te auf­grund lücken­haf­ter und wider­sprüch­li­cher Urteils­fest­stel­lun­gen nicht über­prü­fen, ob das Land­ge­richt das mate­ri­el­le Recht rich­tig ange­wen­det hat.

Die Fest­stel­lun­gen bele­gen schon nicht, dass der Über­las­sung der Frei­kar­ten und Kauf­op­tio­nen eine für die Erfül­lung des Straf­tat­be­stands der Vor­teils­an­nah­me erfor­der­li­che soge­nann­te Unrechts­ver­ein­ba­rung zugrun­de lag. Die Straf­kam­mer hat außer Acht gelas­sen, dass die Frei­kar­ten auch eine prin­zi­pi­ell zuläs­si­ge Gegen­leis­tung des Kon­zert­ver­an­stal­ters für die Nut­zung des Stadt­parks gewe­sen sein könn­ten. In die­sem Fall wären die Vor­tei­le nicht “für die Dienst­aus­übung” im Sin­ne der Straf­norm des § 331 StGB geleis­tet worden.

Das Land­ge­richt hat aller­dings auch eine Ver­ur­tei­lung des R. wegen Bestech­lich­keit durch For­de­rung und Annah­me der Frei­kar­ten und Kar­ten­op­tio­nen nicht trag­fä­hig ver­neint. Die Straf­kam­mer hat dabei als mög­li­che Gegen­leis­tung ledig­lich die Bemes­sung des Nut­zungs­ent­gelts für den Stadt­park in den Blick genom­men, nicht aber bedacht, dass es den Ange­klag­ten auch um Wohl­wol­len bei der Ver­trags­ab­wick­lung gegan­gen sein könn­te. Das Land­ge­richt hat sodann zwar für sich genom­men rechts­feh­ler­frei begrün­det, dass die Bemes­sung des Nut­zungs­ent­gelts nicht zu bean­stan­den war, dabei aber ver­kannt, dass es nach § 331 Abs. 3 Nr. 2 StGB für die Tat­be­stands­er­fül­lung schon aus­reicht, wenn der Täter sich dem ande­ren gegen­über bereit zeigt, sich bei der Aus­übung sei­nes Ermes­sens von dem Vor­teil beein­flus­sen zu las­sen. Dies wäre nach den Aus­füh­run­gen im Urteil zu prü­fen gewe­sen. Denn danach sei­en R., K. und W. über­ein­ge­kom­men, dass die Frei­kar­ten und Kar­ten­op­tio­nen bei der Bemes­sung des Nut­zungs­ent­gelts “in die Waag­scha­le” gewor­fen wer­den sollten.

Durch­grei­fen­de Rechts­feh­ler haben sich auch erge­ben, soweit R. für die Ver­tei­lung der Frei­kar­ten an die Bezirks­amts­mit­ar­bei­ter und der Kar­ten­op­tio­nen an die Staats­rä­te wegen Vor­teils­ge­wäh­rung ver­ur­teilt wor­den ist. Eine Unrechts­ver­ein­ba­rung ist hier eben­falls nicht hin­rei­chend fest­ge­stellt. Ins­be­son­de­re hat das Land­ge­richt nicht bedacht, dass eine unred­li­che Beein­flus­sung der Dienst­aus­übung bei Geschen­ken des Dienst­vor­ge­setz­ten an sei­ne Mit­ar­bei­ter eher fern­liegt. Das Land­ge­richt hat es zudem unter­las­sen, den Sach­ver­halt unter dem Gesichts­punkt einer mög­li­chen Untreue des R. zu Las­ten sei­ner Anstel­lungs­kör­per­schaft zu prü­fen, die er durch das frei­hän­di­ge Ver­tei­len von der Anstel­lungs­kör­per­schaft mög­li­cher­wei­se über­eig­ne­ten Frei­kar­ten zu eige­nen Zwe­cken ver­wirk­licht haben könnte.

Da die auf­ge­zeig­ten Rechts­feh­ler sich auch auf die Ver­ur­tei­lung des Ange­klag­ten O., die Frei­sprü­che sowie die Ein­zie­hungs­ent­schei­dun­gen aus­ge­wirkt haben, war das Urteil in vol­lem Umfang auf­zu­he­ben. Die Sache bedarf ins­ge­samt neu­er Ver­hand­lung und Entscheidung.

Vor­in­stanz:
LG Ham­burg — Urteil vom 8. April 2022 – 622 KLs 4/20

Die maß­geb­li­chen Vor­schrif­ten des StGB lauten:

§ 266 Untreue

(1) Wer die ihm durch Gesetz, behörd­li­chen Auf­trag oder Rechts­ge­schäft ein­ge­räum­te Befug­nis, über frem­des Ver­mö­gen zu ver­fü­gen oder einen ande­ren zu ver­pflich­ten, miß­braucht oder die ihm kraft Geset­zes, behörd­li­chen Auf­trags, Rechts­ge­schäfts oder eines Treue­ver­hält­nis­ses oblie­gen­de Pflicht, frem­de Ver­mö­gens­in­ter­es­sen wahr­zu­neh­men, ver­letzt und dadurch dem, des­sen Ver­mö­gens­in­ter­es­sen er zu betreu­en hat, Nach­teil zufügt, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu fünf Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft.
(…)

§ 331 Vorteilsannahme

(1) Ein Amts­trä­ger, ein Euro­päi­scher Amts­trä­ger oder ein für den öffent­li­chen Dienst beson­ders Ver­pflich­te­ter, der für die Dienst­aus­übung einen Vor­teil für sich oder einen Drit­ten for­dert, sich ver­spre­chen läßt oder annimmt, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft.
(…)

§ 332 Bestechlichkeit

(1) Ein Amts­trä­ger, ein Euro­päi­scher Amts­trä­ger oder ein für den öffent­li­chen Dienst beson­ders Ver­pflich­te­ter, der einen Vor­teil für sich oder einen Drit­ten als Gegen­leis­tung dafür for­dert, sich ver­spre­chen läßt oder annimmt, daß er eine Dienst­hand­lung vor­ge­nom­men hat oder künf­tig vor­neh­me und dadurch sei­ne Dienst­pflich­ten ver­letzt hat oder ver­let­zen wür­de, wird mit Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu fünf Jah­ren bestraft. In min­der schwe­ren Fäl­len ist die Stra­fe Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder Geld­stra­fe. Der Ver­such ist strafbar.
(…)
(3) Falls der Täter den Vor­teil als Gegen­leis­tung für eine künf­ti­ge Hand­lung for­dert, sich ver­spre­chen läßt oder annimmt, so sind die Absät­ze 1 und 2 schon dann anzu­wen­den, wenn er sich dem ande­ren gegen­über bereit gezeigt hat,

1.bei der Hand­lung sei­ne Pflich­ten zu ver­let­zen oder,
2.soweit die Hand­lung in sei­nem Ermes­sen steht, sich bei Aus­übung des Ermes­sens durch den Vor­teil beein­flus­sen zu lassen.

§ 333 Vorteilsgewährung

(1) Wer einem Amts­trä­ger, einem Euro­päi­schen Amts­trä­ger, einem für den öffent­li­chen Dienst beson­ders Ver­pflich­te­ten oder einem Sol­da­ten der Bun­des­wehr für die Dienst­aus­übung einen Vor­teil für die­sen oder einen Drit­ten anbie­tet, ver­spricht oder gewährt, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft.
(…)

§ 334 Bestechung

(1) Wer einem Amts­trä­ger, einem Euro­päi­schen Amts­trä­ger, einem für den öffent­li­chen Dienst beson­ders Ver­pflich­te­ten oder einem Sol­da­ten der Bun­des­wehr einen Vor­teil für die­sen oder einen Drit­ten als Gegen­leis­tung dafür anbie­tet, ver­spricht oder gewährt, daß er eine Dienst­hand­lung vor­ge­nom­men hat oder künf­tig vor­neh­me und dadurch sei­ne Dienst­pflich­ten ver­letzt hat oder ver­let­zen wür­de, wird mit Frei­heits­stra­fe von drei Mona­ten bis zu fünf Jah­ren bestraft. In min­der schwe­ren Fäl­len ist die Stra­fe Frei­heits­stra­fe bis zu zwei Jah­ren oder Geldstrafe.
(…)

§ 357 Ver­lei­tung eines Unter­ge­be­nen zu einer Straftat

(1) Ein Vor­ge­setz­ter, wel­cher sei­ne Unter­ge­be­nen zu einer rechts­wid­ri­gen Tat im Amt ver­lei­tet oder zu ver­lei­ten unter­nimmt oder eine sol­che rechts­wid­ri­ge Tat sei­ner Unter­ge­be­nen gesche­hen läßt, hat die für die­se rechts­wid­ri­ge Tat ange­droh­te Stra­fe verwirkt.
(…)

Die maß­geb­li­che Vor­schrift der StPO lautet:

§ 301 Wir­kung eines Rechts­mit­tels der Staatsanwaltschaft

Jedes von der Staats­an­walt­schaft ein­ge­leg­te Rechts­mit­tel hat die Wir­kung, daß die ange­foch­te­ne Ent­schei­dung auch zuguns­ten des Beschul­dig­ten abge­än­dert oder auf­ge­ho­ben wer­den kann. 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…