BGH, Beschluss vom 16.02.2023, AZ 4 StR 211/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 31/2023, vom 16.02.2023

Töd­lich enden­des Kraft­fahr­zeug­ren­nen durch die Innen­stadt von Moers muss zum Teil neu ver­han­delt werden

Urteil vom 16. Febru­ar 2023 — 4 StR 211/22

Der u.a. für Ver­kehrs­straf­sa­chen zustän­di­ge 4. Straf­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat heu­te auf die Revi­sio­nen der Staats­an­walt­schaft und der Neben­klä­ger das Urteil des Land­ge­richts Kle­ve vom 3. Juni 2021 teil­wei­se auf­ge­ho­ben und die Sache zu neu­er Ver­hand­lung an das Land­ge­richt Duis­burg verwiesen.

Pro­zess­ver­lauf:

Das Land­ge­richt Kle­ve hat­te den Ange­klag­ten im ers­ten Rechts­gang wegen Mor­des zu lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt. Auf die Revi­si­on des Ange­klag­ten hat­te der 4. Straf­se­nat das Urteil auf­ge­ho­ben und die Sache zu neu­er Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Land­ge­richt Kle­ve zurück­ver­wie­sen; inso­weit wird auf die Pres­se­er­klä­rung vom 22. März 2021 (Nr. 62/2021) verwiesen.

Im zwei­ten Rechts­gang hat das Land­ge­richt Kle­ve den Ange­klag­ten wegen ver­bo­te­nen Kraft­fahr­zeug­ren­nens mit Todes­fol­ge zu einer Frei­heits­stra­fe von vier Jah­ren ver­ur­teilt und eine Fahr­erlaub­nis­sper­re ver­hängt. Gegen das Urteil haben die Staats­an­walt­schaft und die Neben­klä­ger Revi­si­on ein­ge­legt; sie bean­stan­den die Ableh­nung beding­ten Tötungs­vor­sat­zes als rechtsfehlerhaft.

Sach­ver­halt:

Nach den Fest­stel­lun­gen des Land­ge­richts fuh­ren der Ange­klag­te und der bereits rechts­kräf­tig wegen ver­bo­te­nen Kraft­fahr­zeug­ren­nens mit Todes­fol­ge ver­ur­teil­te frü­he­re Mit­an­ge­klag­te am Oster­mon­tag 2019 gegen 22.00 Uhr mit ihren hoch­mo­to­ri­sier­ten Fahr­zeu­gen mit maxi­ma­ler Beschleu­ni­gung neben­ein­an­der auf einer nahe­zu gerad­li­nig ver­lau­fen­den, vor­fahrts­be­rech­tig­ten zwei­spu­ri­gen Stra­ße durch das Stadt­ge­biet von Moers. Der Ange­klag­te befuhr dabei die Gegen­fahr­spur und erreich­te rasch eine Geschwin­dig­keit von 157 km/h. In die­sem Moment bog die spä­te­re Geschä­dig­te mit ihrem Fahr­zeug von links aus einer Sei­ten­stra­ße kom­mend auf die von dem Ange­klag­ten und dem frü­he­ren Mit­an­ge­klag­ten befah­re­ne vor­fahrts­be­rech­tig­te Stra­ße ein. Trotz eines sofort ein­ge­lei­te­ten Brems- und Aus­weich­ma­nö­vers prall­te der Ange­klag­te mit einer Geschwin­dig­keit von noch 105 km/h auf das Fahr­zeug der Geschä­dig­ten. Sie erlitt schwers­te Ver­let­zun­gen, denen sie im Kran­ken­haus erlag. In sub­jek­ti­ver Hin­sicht ist das Land­ge­richt zu der Über­zeu­gung gelangt, dass der Ange­klag­te mit beding­tem Gefähr­dungs­vor­satz, nicht aber mit beding­tem Tötungs­vor­satz handelte.

Ent­schei­dung des Bundesgerichtshofs:

Der Bun­des­ge­richts­hof hat das Urteil des Land­ge­richts Kle­ve vom 7. Juni 2021 mit den Fest­stel­lun­gen zur inne­ren Tat­sei­te auf­ge­ho­ben. Die Beweis­er­wä­gun­gen, mit denen das Schwur­ge­richt die Annah­me beding­ten Tötungs­vor­sat­zes abge­lehnt hat, waren nicht mit den Erwä­gun­gen ver­ein­bar, mit denen es beding­ten Gefähr­dungs­vor­satz im Sin­ne des § 315d Abs. 2 StGB begrün­det hat.

Das Land­ge­richt hat sich davon über­zeugt, dass der orts­kun­di­ge Ange­klag­te die objek­tiv hohe Gefähr­lich­keit sei­nes Fahr­ver­hal­tens zutref­fend erkannt hat. Gleich­wohl habe er nicht aus­schließ­bar dar­auf ver­traut, dass eine Kol­li­si­on mit Fahr­zeu­gen des Quer­ver­kehrs aus­blei­ben wer­de, weil die­se “grund­sätz­lich, wenn auch ein­ge­schränkt” in der Lage sein wür­den, sein äußerst ris­kan­tes Fahr­ver­hal­ten zu erken­nen und sich auf die hier­aus erge­ben­de Gefah­ren­la­ge ein­zu­stel­len. Die Annah­me beding­ten Gefähr­dungs­vor­sat­zes hat das Land­ge­richt bejaht und zur Begrün­dung aus­ge­führt, dass der Ange­klag­te mit einer Kol­li­si­on mit Ver­kehrs­teil­neh­mern gerech­net habe, die aus angren­zen­den Stra­ßen in die von ihm auf der Gegen­fahr­spur befah­re­ne Bis­marck­stra­ße ein­bie­gen könn­ten. Die­se nicht wider­spruchs­frei mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren Beweis­er­wä­gun­gen zum Vor­stel­lungs­bild des Ange­klag­ten begrün­de­ten einen Rechts­feh­ler, der sich zu Unguns­ten und zu Guns­ten des Ange­klag­ten aus­wirk­te und die Urteils­auf­he­bung mit den Fest­stel­lun­gen zur sub­jek­ti­ven Tat­sei­te nach sich zog. Die Fest­stel­lun­gen zum äuße­ren Sach­ver­halt konn­ten bestehen blei­ben; sie waren von dem Rechts­feh­ler nicht berührt.

Vor­in­stanz:
Land­ge­richt Kle­ve — Urteil vom 7. Juni 2021– 150 Ks – 507 Js 281/19 – 1/21

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…