BGH, Beschluss vom 09.03.2023, AZ 3 StR 246/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 48/2023, vom 09.03.2023

Urteil wegen Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit zum Nach­teil zwei­er Jesi­din­nen im Straf­aus­spruch weit­ge­hend aufgehoben

Urteil und Beschluss vom 9. März 2023 – 3 StR 246/22

Der Bun­des­ge­richts­hof hat über die Revi­sio­nen des Gene­ral­bun­des­an­walts und der Ange­klag­ten gegen das Urteil des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen ent­schie­den, mit dem die­se wegen des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung mit Todes­fol­ge in Tat­ein­heit mit wei­te­ren Delik­ten und wegen mit­glied­schaft­li­cher Betei­li­gung an einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung im Aus­land zu einer Gesamt­frei­heits­stra­fe von zehn Jah­ren ver­ur­teilt wor­den war. Auf das Rechts­mit­tel der Bun­des­an­walt­schaft hat der für Straf­ta­ten nach dem Völ­ker­straf­ge­setz­buch (VStGB) zustän­di­ge 3. Straf­se­nat das Urteil im Straf­aus­spruch weit­ge­hend auf­ge­ho­ben; das­je­ni­ge der Ange­klag­ten hat er verworfen.

Ange­foch­te­nes Urteil:

1. Nach den vom Ober­lan­des­ge­richt getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen reis­te die in Deutsch­land gebo­re­ne und zum Islam kon­ver­tier­te Ange­klag­te Ende August 2014 im Alter von 23 Jah­ren nach Syri­en in das dama­li­ge Herr­schafts­ge­biet der ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung “Isla­mi­scher Staat” (IS) aus und schloss sich ihr an. In Rak­ka hei­ra­te­te sie vor einem IS-Gericht ein für die Orga­ni­sa­ti­on täti­ges – mitt­ler­wei­le rechts­kräf­tig ver­ur­teil­tes (s. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 11/2023) – männ­li­ches Ver­ei­ni­gungs­mit­glied. Kurz zuvor hat­te die­ser zwei beim Angriff des IS auf die Sind­schar-Regi­on gefan­gen­ge­nom­me­ne Jesi­din­nen, die Neben­klä­ge­rin und deren im Klein­kind­al­ter befind­li­che Toch­ter, als Skla­vin­nen gekauft.

Die Ange­klag­te zog mit ihm und den bei­den Jesi­din­nen in den Irak nach Fal­lud­scha. Dort hielt das nach isla­mi­schem Ritus getrau­te Paar die “Haus­skla­vin­nen” im Som­mer 2015 zir­ka ein­ein­halb Mona­te in Gefan­gen­schaft. Die Ange­klag­te wies die Neben­klä­ge­rin an, ihr den Haus­halt zu füh­ren. Gemein­sam mit ihrem Mann for­der­te sie von der Neben­klä­ge­rin und deren Toch­ter mehr­mals täg­lich, isla­mi­sche Gebets­ri­ten zu befol­gen, und gab dem Kind einen mus­li­mi­schen Namen, mit dem es auch des­sen Mut­ter anspre­chen muss­te. Er miss­han­del­te bei­de regel­mä­ßig, um sie zu bestra­fen und zu dis­zi­pli­nie­ren, teils aus eige­nem Antrieb, teils auf Beschwer­den der Ange­klag­ten hin. Die­se för­der­te durch ihr Han­deln bewusst und gewollt die IS- Poli­tik der Ver­nich­tung der jesi­di­schen Reli­gi­on und der Ver­skla­vung der weib­li­chen jesi­di­schen Bevölkerung.

An einem Tag Anfang August 2015 band der Mann der Ange­klag­ten die Fünf­jäh­ri­ge bei star­ker Hit­ze an das im Hof sei­nes Hau­ses befind­li­che Außen­git­ter eines Fens­ters, so dass sie direk­ter Son­nen­ein­strah­lung aus­ge­setzt war und sich nicht mit den Bei­nen abstüt­zen konn­te. Die Ange­klag­te schritt nicht ein, auch als sie die Lebens­ge­fahr erkann­te. An den Fol­gen des Fes­selns und Auf­hän­gens ver­starb das Mäd­chen. In dem Zeit­punkt, als die Ange­klag­te des­sen Tod bil­li­gend in Kauf nahm, wäre es aller­dings nicht mehr zu ret­ten gewe­sen. An dem Tag des Gesche­hens oder kurz danach hielt sie der um ihr Kind wei­nen­den Neben­klä­ge­rin eine Pis­to­le an den Kopf und droh­te ihr, sie zu erschie­ßen, wenn sie damit nicht aufhöre.

2. Das Ober­lan­des­ge­richt hat das Gesche­hen um die von der Ange­klag­ten als Mit­glied des IS gemein­schaft­lich mit ihrem Mann vor­ge­nom­me­ne Ver­skla­vung ein­schließ­lich des hier­durch ver­ur­sach­ten Todes des Kin­des gewer­tet als zwei tat­ein­heit­li­che Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung, eins mit Todes­fol­ge (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VStGB), in Tat­ein­heit mit durch Unter­las­sen began­ge­ner Bei­hil­fe zum Ver­such des Mor­des, des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Tötung und des Kriegs­ver­bre­chens gegen Per­so­nen durch Tötung sowie mit mit­glied­schaft­li­cher Betei­li­gung an einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung im Aus­land. Der Straf­zu­mes­sung hat es als höchs­te Sank­ti­ons­an­dro­hung (§ 52 Abs. 2 StGB) den Straf­rah­men zugrun­de gelegt, der für den min­der schwe­ren Fall des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung mit Todes­fol­ge gesetz­lich vor­ge­se­hen ist (§ 7 Abs. 4 Alter­na­ti­ve 1 VStGB). Wegen die­ser Tat hat es die Ange­klag­te mit einer Frei­heits­stra­fe von neun Jah­ren belegt. Die ver­ei­ni­gungs­be­zo­ge­nen Tätig­kei­ten, wel­che sie als IS-Mit­glied getrennt von der Ver­skla­vung der Neben­klä­ge­rin und ihrer Toch­ter aus­üb­te, hat das Ober­lan­des­ge­richt als wei­te­ren selb­stän­di­gen Fall der mit­glied­schaft­li­chen Betei­li­gung an einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung im Aus­land beur­teilt und des­we­gen auf eine Frei­heits­stra­fe von zwei Jah­ren und sechs Mona­ten erkannt. Die bei­den Ein­zel­stra­fen hat es auf eine Gesamt­frei­heitstra­fe von zehn Jah­ren zurückgeführt.

Rechts­mit­tel:

Gegen das Urteil haben sowohl der Gene­ral­bun­des­an­walt als auch die Ange­klag­te Revi­si­on ein­ge­legt. Die Bun­des­an­walt­schaft hat mit ihrem auf die Sach­rü­ge gestütz­ten Rechts­mit­tel aus­schließ­lich wei­te Tei­le des Straf­aus­spruchs ange­foch­ten und dabei die rechts­feh­ler­haf­te Annah­me eines min­der schwe­ren Falls des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung mit Todes­fol­ge bean­stan­det. Die Ange­klag­te hat mit ihrem unbe­schränkt erho­be­nen Rechts­mit­tel ohne wei­te­re Begrün­dung die Ver­let­zung for­mel­len und mate­ri­el­len Rechts gerügt.

Ent­schei­dun­gen des Bundesgerichtshofs:

1. Auf die Revi­si­on des Gene­ral­bun­des­an­walts hat der Bun­des­ge­richts­hof das Urteil des Ober­lan­des­ge­richts in den Aus­sprü­chen über die Ein­zel­stra­fe in dem Fall des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung mit Todes­fol­ge in Tat­ein­heit mit wei­te­ren Delik­ten und über die Gesamt­stra­fe auf­ge­ho­ben und die Sache zu neu­er Ent­schei­dung an das Ober­lan­des­ge­richt zurückverwiesen.

Der 3. Straf­se­nat hat auf­grund der Ver­hand­lung vom 26. Janu­ar 2023 (s. Pres­se­mit­tei­lung Nr. 180/2022) mit Urteil ent­schie­den, die Annah­me eines min­der schwe­ren Falls erwei­se sich als rechts­feh­ler­haft. Denn das Ober­lan­des­ge­richt habe aus­weis­lich der schrift­li­chen Urteils­grün­de bei der dies­be­züg­li­chen Prü­fung die Straf­tat­be­stän­de, wel­che die Ange­klag­te zugleich mit dem Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit durch Ver­skla­vung mit Todes­fol­ge ver­wirk­licht habe, ins­be­son­de­re die Bei­hil­fe zu den ver­such­ten Tötungs­de­lik­ten, als für die Straf­rah­men­wahl bedeu­tungs­los befun­den. Es habe somit ver­kannt, dass die Ver­let­zung meh­re­rer Straf­ge­set­ze durch eine Tat grund­sätz­lich straf­schär­fend wir­ke. Im Übri­gen hat es der 3. Straf­se­nat als zumin­dest bedenk­lich ange­se­hen, dass das Ober­lan­des­ge­richt die men­schen­ver­ach­ten­den Beweg­grün­de und Zie­le der Ange­klag­ten unbe­rück­sich­tigt gelas­sen hat, die sich nach den Urteils­fest­stel­lun­gen auf­dräng­ten. Wie sich klar­stel­lend aus dem Gesetz erge­be (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB), sei eine sol­che Tat­mo­ti­va­ti­on regel­mä­ßig straf­zu­mes­sungs­recht­lich beacht­lich. Men­schen­ver­ach­tend sei eine in der straf­ba­ren Hand­lung zum Aus­druck gekom­me­ne Gesin­nung des Täters, wel­che die ver­meint­li­che Anders­ar­tig­keit einer Per­so­nen­grup­pe als Recht­fer­ti­gung dazu miss­braucht, Men­schen­rech­te der Opfer zu negie­ren und ihre Men­schen­wür­de zu ver­let­zen, etwa im Fall von gegen die reli­giö­se Ori­en­tie­rung gerich­te­ten Hand­lungs­mo­ti­ven oder ‑zwe­cken. So lie­ge es nahe­lie­gend hier. Die Ange­klag­te habe sogar die vom Ver­bre­chen des Völ­ker­mor­des vor­aus­ge­setz­te Absicht der den Angriff auf die Jesi­den der Sind­schar-Regi­on anord­nen­den Füh­rungs­kräf­te des IS gekannt und gebil­ligt, die­se reli­giö­se Grup­pe als sol­che zu zerstören.

2. Die Revi­si­on der Ange­klag­ten hat der Bun­des­ge­richts­hof durch Beschluss als offen­sicht­lich unbe­grün­det ver­wor­fen, weil die Beschwer­de­füh­re­rin eine Ver­fah­rens­rüge nicht zuläs­sig erho­ben und die mate­ri­ell­recht­li­che Nach­prü­fung des Urteils kei­nen ihr nach­tei­li­gen Rechts­feh­ler erge­ben hat.

Vor­in­stanz:
OLG Mün­chen — 8 St 9/18 — Urteil vom 25. Okto­ber 2021

Maß­geb­li­che Vorschriften:

§ 7 VStGB – Ver­bre­chen gegen die Menschlichkeit

(1) Wer im Rah­men eines aus­ge­dehn­ten oder sys­te­ma­ti­schen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

3.Menschenhandel betreibt, ins­be­son­de­re mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf ande­re Wei­se einen Men­schen ver­sklavt und sich dabei ein Eigen­tums­recht an ihm anmaßt,

wird … in den Fäl­len der Num­mern 3 bis 7 mit Frei­heits­stra­fe nicht unter fünf Jah­ren … bestraft.
(2) …
(3) Ver­ur­sacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Men­schen, so ist die Stra­fe in den Fäl­len des Absat­zes 1 Nr. 3 bis 7 lebens­lan­ge Frei­heits­stra­fe oder Frei­heits­stra­fe nicht unter zehn Jahren …
(4) In min­der schwe­ren Fäl­len des Absat­zes 3 ist die Stra­fe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Frei­heits­stra­fe nicht unter fünf Jahren …
(5) …

§ 46 StGB (ab dem 1. August 2015 gül­ti­ge Fas­sung) – Grund­sät­ze der Strafzumessung

(1) …
(2) 1Bei der Zumes­sung wägt das Gericht die Umstän­de, die für und gegen den Täter spre­chen, gegen­ein­an­der ab. 2Dabei kom­men nament­lich in Betracht:
die Beweg­grün­de und die Zie­le des Täters, beson­ders auch ras­sis­ti­sche, frem­den­feind­li­che, oder sons­ti­ge menschenverachtende,

§ 52 StGB – Tateinheit

(1) Ver­letzt die­sel­be Hand­lung meh­re­re Straf­ge­set­ze oder das­sel­be Straf­ge­setz mehr­mals, so wird nur auf eine Stra­fe erkannt.
(2) 1Sind meh­re­re Straf­ge­set­ze ver­letzt, so wird die Stra­fe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwers­te Stra­fe androht. …

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…