BGH, Beschluss vom 17.05.2023, AZ 6 StR 275/22

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 82/2023, vom 17.05.2023

Urteil zum Tod einer in der Weser ver­senk­ten 19-jäh­ri­gen Frau weit­ge­hend rechtskräftig

Urteil vom 17. Mai 2023 – 6 StR 275/22

Das Land­ge­richt Ver­den hat den Ange­klag­ten Ko. wegen schwe­rer Zwangs­pro­sti­tu­ti­on, Ver­ge­wal­ti­gung, ver­such­ter Ver­ge­wal­ti­gung, ver­such­ter sexu­el­ler Nöti­gung und gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung durch Unter­las­sen zu einer Gesamt­frei­heits­stra­fe von acht Jah­ren ver­ur­teilt. Die Mit­an­ge­klag­ten Kr. und H. hat es jeweils wegen gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung durch Unter­las­sen sowie Bei­hil­fe zu den genann­ten Sexu­al­straf­ta­ten, die Ange­klag­te H. dar­über hin­aus wegen eines Betäu­bungs­mit­tel­de­likts ver­ur­teilt und gegen sie Gesamt­frei­heits­stra­fen von drei Jah­ren und neun Mona­ten bzw. von zwei Jah­ren und neun Mona­ten aus­ge­spro­chen. Vom Ankla­ge­vor­wurf eines gemein­schaft­lich began­ge­nen Mor­des hat es die Ange­klag­ten freigesprochen.

Nach den Urteils­fest­stel­lun­gen “über­nahm” der Ange­klag­te Ko. Anfang April 2020 von einem Zuhäl­ter gegen Zah­lung von 2.000 Euro und den Erlass von Dro­gen­schul­den eine psy­chisch schwer erkrank­te 19-jäh­ri­ge Frau, um ihre Pro­sti­tu­ti­on zu inten­si­vie­ren und dadurch erheb­li­che Ein­künf­te für sich zu erwirt­schaf­ten. Die hier­von unter­rich­te­ten Mit­an­ge­klag­ten Kr. und H., sei­ne Lebens­ge­fähr­tin, erklär­ten sich ohne finan­zi­el­le Betei­li­gung bereit, das Vor­ha­ben zu unter­stüt­zen. Obgleich sich die Geschä­dig­te zu kei­nem Zeit­punkt mit der Erbrin­gung sexu­el­ler Dienst­leis­tun­gen ein­ver­stan­den erklärt hat­te, bot Ko. die­se auf einer Inter­net­platt­form an. H. unter­stütz­te ihn bei den Ver­hand­lun­gen mit Inter­es­sen­ten, Kr. nahm die Geschä­dig­te zeit­wei­se in sei­ne Woh­nung auf und beglei­te­te sie zusam­men mit Ko. zu ver­ein­bar­ten Treff­punk­ten. Es kam zu min­des­tens drei Tref­fen mit Frei­ern, wobei in einem Fall nicht auf­ge­klärt wer­den konn­te, ob es zu sexu­el­len Dienst­leis­tun­gen kam, und in einem wei­te­ren Fall der Frei­er die Geschä­dig­te wegen ihres auf­fäl­li­gen Ver­hal­tens als­bald zurückbrachte.

Spä­tes­tens seit dem Abend des 7. April 2020 befand sich die inzwi­schen schwer psy­cho­ti­sche Geschä­dig­te zunächst im Wohn­haus von Ko. und H. und dann bis zu ihrem Tod in der dor­ti­gen Gara­ge. In der Hoff­nung, die “Ein­nah­me­quel­le” für Ko. erhal­ten zu kön­nen, ent­schie­den die Ange­klag­ten gemein­sam, die drin­gend erfor­der­li­che fach­ärzt­li­che Hil­fe nicht zu holen, son­dern sich selbst um die Geschä­dig­te zu küm­mern. Dabei nah­men sie eine Ver­län­ge­rung ihres Lei­dens in Kauf. H. über­ließ der Geschä­dig­ten zur Beru­hi­gung einen “Joint”. Spä­ter reich­te sie ihr ein Was­ser­glas mit einer dar­in auf­ge­lös­ten, unbe­kannt geblie­be­nen Men­ge Salz. Bei jeden­falls einer Gele­gen­heit wur­de die Geschä­dig­te gewürgt und ihr der Mund zuge­hal­ten. Sie ver­starb schließ­lich in der Nacht auf den 9. April 2020, wobei todes­ur­säch­lich ent­we­der ein Wür­gen oder die Ein­wir­kung einer zu gro­ßen Men­ge Salz auf den Orga­nis­mus war. Wer den Tod ver­ur­sacht hat­te, ver­moch­te das Land­ge­richt nicht fest­zu­stel­len. Um die Lei­che zu besei­ti­gen, fes­sel­te jeden­falls Ko. die­se an eine Wasch­be­ton­plat­te und warf sie von einer Brü­cke in einen Schleu­sen­ka­nal der Weser.

Die auf die Revi­sio­nen der Staats­an­walt­schaft, der Ange­klag­ten und des Neben­klä­gers erfolg­te recht­li­che Über­prü­fung durch den 6. Straf­se­nat hat hin­sicht­lich der ergan­ge­nen Schuld­sprü­che nur Ände­run­gen bezüg­lich der kon­kur­renz­recht­li­chen Bewer­tung erge­ben, was teil­wei­se zur Auf­he­bung der Straf­aus­sprü­che geführt hat. Auf die Revi­si­on der Staats­an­walt­schaft hat der Senat die Sache inso­weit zu neu­er Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Land­ge­richt zurück­ver­wie­sen. Im Übri­gen hat er die Revi­sio­nen verworfen.

Das Urteil des Land­ge­richts Ver­den ist damit weit­ge­hend rechts­kräf­tig, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich des Frei­spruchs vom Vor­wurf des Mordes.

Vor­in­stanz:
Land­ge­richt Ver­den — Urteil vom 21. Okto­ber 2021 – 1 Ks 147 Js 20912/20 (113/20)

Die maß­geb­li­chen recht­li­chen Vor­schrif­ten des StGB lauten:

§ 13 Bege­hen durch Unterlassen

Wer es unter­läßt, einen Erfolg abzu­wen­den, der zum Tat­be­stand eines Straf­ge­set­zes gehört, ist nach die­sem Gesetz nur dann straf­bar, wenn er recht­lich dafür ein­zu­ste­hen hat, daß der Erfolg nicht ein­tritt, und wenn das Unter­las­sen der Ver­wirk­li­chung des gesetz­li­chen Tat­be­stan­des durch ein Tun entspricht.
[…]

§ 177 Sexu­el­ler Über­griff; sexu­el­le Nöti­gung; Vergewaltigung

Wer gegen den erkenn­ba­ren Wil­len einer ande­ren Per­son sexu­el­le Hand­lun­gen an die­ser Per­son vor­nimmt oder von ihr vor­neh­men lässt oder die­se Per­son zur Vor­nah­me oder Dul­dung sexu­el­ler Hand­lun­gen an oder von einem Drit­ten bestimmt, wird mit Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu fünf Jah­ren bestraft.

Eben­so wird bestraft, wer sexu­el­le Hand­lun­gen an einer ande­ren Per­son vor­nimmt oder von ihr vor­neh­men lässt oder die­se Per­son zur Vor­nah­me oder Dul­dung sexu­el­ler Hand­lun­gen an oder von einem Drit­ten bestimmt, wenn
[…]
2. der Täter aus­nutzt, dass die Per­son auf Grund ihres kör­per­li­chen oder psy­chi­schen Zustands in der Bil­dung oder Äuße­rung des Wil­lens erheb­lich ein­ge­schränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustim­mung die­ser Per­son versichert,
[…]
Der Ver­such ist strafbar.
[…]
Auf Frei­heits­stra­fe nicht unter einem Jahr ist zu erken­nen, wenn der Täter
[…]
3. eine Lage aus­nutzt, in der das Opfer der Ein­wir­kung des Täters schutz­los aus­ge­lie­fert ist.

In beson­ders schwe­ren Fäl­len ist auf Frei­heits­stra­fe nicht unter zwei Jah­ren zu erken­nen. Ein beson­ders schwe­rer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1. der Täter mit dem Opfer den Bei­schlaf voll­zieht oder voll­zie­hen lässt oder ähn­li­che sexu­el­le Hand­lun­gen an dem Opfer vor­nimmt oder von ihm vor­neh­men lässt, die die­ses beson­ders ernied­ri­gen, ins­be­son­de­re wenn sie mit einem Ein­drin­gen in den Kör­per ver­bun­den sind (Ver­ge­wal­ti­gung), oder
[…]

§ 211 Mord

Der Mör­der wird mit lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe bestraft.

Mör­der ist, wer

aus Mord­lust, zur Befrie­di­gung des Geschlechts­triebs, aus Hab­gier oder sonst aus nied­ri­gen Beweggründen,

heim­tü­ckisch oder grau­sam oder mit gemein­ge­fähr­li­chen Mit­teln oder

um eine ande­re Straf­tat zu ermög­li­chen oder zu verdecken,

einen Men­schen tötet.

§ 224 Gefähr­li­che Körperverletzung

Wer die Körperverletzung
[…]
4. mit einem ande­ren Betei­lig­ten gemein­schaft­lich oder
[…]
begeht, wird mit Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu zehn Jah­ren, in min­der schwe­ren Fäl­len mit Frei­heits­stra­fe von drei Mona­ten bis zu fünf Jah­ren bestraft.
[…]

§ 232 StGB (Men­schen­han­del)

[…]
In den Fäl­len des Absat­zes 1 ist auf Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu zehn Jah­ren zu erken­nen, wenn
[…]
3. der Täter gewerbs­mä­ßig han­delt oder als Mit­glied einer Ban­de, die sich zur fort­ge­setz­ten Bege­hung sol­cher Taten ver­bun­den hat.
[…]

§ 232a Zwangsprostitution

Mit Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu zehn Jah­ren wird bestraft, wer eine ande­re Per­son unter Aus­nut­zung ihrer per­sön­li­chen oder wirt­schaft­li­chen Zwangs­la­ge oder ihrer Hilf­lo­sig­keit, die mit dem Auf­ent­halt in einem frem­den Land ver­bun­den ist, oder wer eine ande­re Per­son unter ein­und­zwan­zig Jah­ren veranlasst,

1. die Pro­sti­tu­ti­on auf­zu­neh­men oder fort­zu­set­zen oder
[…]
In den Fäl­len des Absat­zes 1 ist auf Frei­heits­stra­fe von einem Jahr bis zu zehn Jah­ren und in den Fäl­len des Absat­zes 3 auf Frei­heits­stra­fe nicht unter einem Jahr zu erken­nen, wenn einer der in § 232 Absatz 3 Satz 1 Num­mer 1 bis 3 bezeich­ne­ten Umstän­de vorliegt.
[…]

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…