Pres­se­mit­tei­lung des BGH vom 19.08.2020, Nr. 109 /2020

Ver­ur­tei­lung wegen Abrech­nungs­be­trugs im Zusam­men­hang mit dem Betrieb eines medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­trums in Ham­burg weit­ge­hend rechtskräftig 

Urteil vom 19. August 2020 – 5 StR 558/19

Das Land­ge­richt Ham­burg hat die Ange­klag­ten (einen Apo­the­ker und zwei Ärz­te) wegen mehr­fa­chen – teils ban­den- und gewerbs­mä­ßig began­ge­nen – Betrugs zu Gesamt­frei­heits­stra­fen von drei Jah­ren und sechs Mona­ten, zehn Mona­ten und sechs Mona­ten ver­ur­teilt. Die Voll­stre­ckung der bei­den letzt­ge­nann­ten Stra­fen hat es zur Bewäh­rung aus­ge­setzt. Zudem hat es die Ein­zie­hung von rund ein­ein­halb Mil­li­on Euro als Erträ­ge aus den Betrug­s­ta­ten angeordnet. 

Nach den Fest­stel­lun­gen des Land­ge­richts woll­te der Ange­klag­te Z, der u.a. eine Apo­the­ke in Ham­burg betrieb, ein medi­zi­ni­sches Ver­sor­gungs­zen­trum (MVZ) erwer­ben, um sich – über den dann mög­li­chen Ein­fluss auf das Ver­ord­nungs­ver­hal­ten der dort täti­gen Ärz­te – neue Absatz­quel­len für von ihm her­ge­stell­te hoch­prei­si­ge Medi­ka­men­te zu erschlie­ßen. Ihm war indes bewusst, dass die Betei­li­gung von Apo­the­kern an einem medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­trum auf­grund einer Ände­rung der sozi­al­recht­li­chen Vor­schrift des § 95 Abs. 1a SGB V seit Janu­ar 2012 recht­lich nicht mehr mög­lich war. Um die­ses gesetz­li­che Betei­li­gungs­ver­bot zu umge­hen, such­te er nach einem zuge­las­se­nen Arzt als “Stroh­mann”. Die­sen fand er in dem Ange­klag­ten D., über den er in der Fol­ge die Mehr­heits­an­tei­le an einem im Mai 2012 recht­mä­ßig zur kas­sen­ärzt­li­chen Ver­sor­gung zuge­las­se­nen MVZ des sich in einer schwie­ri­gen finan­zi­el­len Lage befind­li­chen Ange­klag­ten Dr. F. in Ham­burg erwarb. Dr. F., der wei­ter­hin als des­sen ärzt­li­cher Lei­ter tätig war, wuss­te eben­falls um die “Strohmann”-Konstruktion und die damit bezweck­te Umge­hung des für den Ange­klag­ten Z. bestehen­den Beteiligungsverbots. 

Obwohl allen Ange­klag­ten bewusst war, dass die Vor­aus­set­zun­gen für die kas­sen­ärzt­li­che Zulas­sung des MVZ nicht mehr vor­la­gen und die­ses daher nicht berech­tigt war, ärzt­li­che Leis­tun­gen bei der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung Ham­burg abzu­rech­nen, reich­te das MVZ in den Jah­ren 2014 und 2015 bei die­ser fünf Quar­tals­ab­rech­nun­gen ein. Die Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gung zahl­te im Ver­trau­en auf des­sen Abrech­nungs­be­rech­ti­gung fast ein­ein­halb Mil­lio­nen Euro an das MVZ aus. Der Ange­klag­te Z. stell­te dar­über hin­aus der Tech­ni­ker Kran­ken­kas­se von August 2014 bis Juni 2015 ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen des MVZ in Rech­nung, die in sei­ner Apo­the­ke ein­ge­löst wor­den waren. Die Ange­klag­ten wuss­ten, dass die Ver­ord­nun­gen auf­grund der – durch die “Strohmann”-Konstruktion ver­deck­ten – fak­ti­schen Betei­li­gung des Ange­klag­ten am MVZ nicht abre­chen­bar waren. Im Ver­trau­en auf die Ord­nungs­ge­mäß­heit der Ver­ord­nun­gen zahl­te die Kran­ken­kas­se rund 150.000 Euro an die Ver­rech­nungs­stel­le der Apo­the­ke des Ange­klag­ten Z. aus. 

Der 5. (Leip­zi­ger) Straf­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat die Revi­si­on der Ange­klag­ten mit Urteil vom 19. August 2020 weit­ge­hend als unbe­grün­det ver­wor­fen. Er hat ins­be­son­de­re ent­schie­den, dass das Land­ge­richt die Ein­rei­chung der Abrech­nun­gen von ärzt­li­chen Leis­tun­gen und Ver­ord­nun­gen unter Ver­schleie­rung der Umge­hung des in § 95 Abs. 1a SGB V nor­mier­ten Betei­li­gungs­ver­bots für Apo­the­ker an einem medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­trum rechts­feh­ler­frei als Betrug gewer­tet hat. Er hat indes die Schuld­sprü­che abge­än­dert, da das Land­ge­richt die Tat­bei­trä­ge der Ange­klag­ten und das kon­kur­renz­recht­li­che Ver­hält­nis der Taten zuein­an­der nicht durch­weg recht­lich zutref­fend bestimmt hat. Auf­grund des­sen hat er die Straf­aus­sprü­che – betref­fend den Ange­klag­ten Dr. F. auch auf die Revi­si­on der Staats­an­walt­schaft hin – auf­ge­ho­ben und die Sache inso­weit zu neu­er Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an eine ande­re Wirt­schafts­straf­kam­mer des Land­ge­richts Ham­burg zurück­ver­wie­sen. Zudem muss über die Höhe der Ein­zie­hung neu ent­schie­den wer­den, da bis­her nicht berück­sich­tigt wor­den ist, dass dem am Ver­fah­ren betei­lig­ten MVZ im Zusam­men­hang mit der an sich sach­ge­mä­ßen Kran­ken­be­hand­lung berück­sich­ti­gungs­fä­hi­ge Auf­wen­dun­gen ent­stan­den sein könnten. 

Vor­in­stanz:
LG Ham­burg– Urteil vom 11. März 2019 – 618 KLs 2/17 – 3490 Js 94/15

Die maß­geb­li­chen Vor­schrif­ten lauten: 

Straf­ge­setz­buch (StGB)

§ 263 Betrug 

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Drit­ten einen rechts­wid­ri­gen Ver­mö­gens­vor­teil zu ver­schaf­fen, das Ver­mö­gen eines ande­ren dadurch beschä­digt, daß er durch Vor­spie­ge­lung fal­scher oder durch Ent­stel­lung oder Unter­drü­ckung wah­rer Tat­sa­chen einen Irr­tum erregt oder unter­hält, wird mit Frei­heits­stra­fe bis zu fünf Jah­ren oder mit Geld­stra­fe bestraft.

(5) Mit Frei­heits­stra­fe von einem Jahr bis zu zehn Jah­ren, in min­der schwe­ren Fäl­len mit Frei­heits­stra­fe von sechs Mona­ten bis zu fünf Jah­ren wird bestraft, wer den Betrug als Mit­glied einer Ban­de, die sich zur fort­ge­setz­ten Bege­hung von Straf­ta­ten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 ver­bun­den hat, gewerbs­mä­ßig begeht. 

Sozi­al­ge­setz­buch V (SGB V) 

§ 95 Teil­nah­me an der ver­trags­ärzt­li­chen Versorgung 

(1) An der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung neh­men zuge­las­se­ne Ärz­te und zuge­las­se­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­tren sowie ermäch­tig­te Ärz­te und ermäch­tig­te Ein­rich­tun­gen teil. Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­tren sind ärzt­lich gelei­te­te Ein­rich­tun­gen, in denen Ärz­te, die in das Arzt­re­gis­ter nach Absatz 2 Satz 3 ein­ge­tra­gen sind, als Ange­stell­te oder Ver­trags­ärz­te tätig sind. Der ärzt­li­che Lei­ter muss in dem medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­zen­trum selbst als ange­stell­ter Arzt oder als Ver­trags­arzt tätig sein; er ist in medi­zi­ni­schen Fra­gen weisungsfrei. … 

(1a) Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­tren kön­nen von zuge­las­se­nen Ärz­ten, von zuge­las­se­nen Kran­ken­häu­sern, von Erbrin­gern nicht­ärzt­li­cher Dia­ly­se­leis­tun­gen nach § 126 Absatz 3, von aner­kann­ten Pra­xis­net­zen nach § 87b Absatz 2 Satz 3, von gemein­nüt­zi­gen Trä­gern, die auf­grund von Zulas­sung oder Ermäch­ti­gung an der ver­trags­ärzt­li­chen Ver­sor­gung teil­neh­men, oder von Kom­mu­nen gegrün­det werden. … 

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…