BGH, Beschluss vom 03.05.2022, AZ 3 StR 367/21

Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs, Nr. 54/2021, vom 

Ver­ur­tei­lung wegen Bei­hil­fe zur Fol­ter durch syri­schen Geheim­dienst bestätigt

Beschluss vom 20. April 2022 – 3 StR 367/21

Der Bun­des­ge­richts­hof hat die Revi­si­on eines ehe­ma­li­gen Ange­hö­ri­gen des syri­schen Geheim­diensts gegen ein Urteil des Ober­lan­des­ge­richts Koblenz ver­wor­fen. Die­ses hat den seit dem Jahr 2018 in Deutsch­land leben­den 44jährigen syri­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen am 24. Febru­ar 2021 nach zehn­mo­na­ti­ger Haupt­ver­hand­lung wegen Bei­hil­fe zu einem Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit in Form von Fol­ter und schwer­wie­gen­der Frei­heits­be­rau­bung zu einer Frei­heits­stra­fe von vier Jah­ren und sechs Mona­ten verurteilt.

Nach den vom Ober­lan­des­ge­richt getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ver­such­ten die syri­schen Sicher­heits­be­hör­den spä­tes­tens seit Ende April 2011 auf­grund zen­tra­ler Anord­nung eines dem Staats­prä­si­den­ten Bas­har al-Assad unter­ste­hen­den Ad-hoc-Gre­mi­ums, die im Rah­men des sog. Ara­bi­schen Früh­lings ent­stan­de­ne Pro­test­be­we­gung gewalt­sam zu unter­drü­cken, um eine Desta­bi­li­sie­rung des Regimes und des­sen etwai­gen Sturz zu ver­hin­dern. Lan­des­weit wur­den Demons­tra­tio­nen, auch durch den Ein­satz von Schuss­waf­fen, auf­ge­löst. Tat­säch­li­che oder ver­meint­li­che Oppo­si­tio­nel­le und Regime­kri­ti­ker wur­den von Sicher­heits­kräf­ten zu Tau­sen­den ver­haf­tet und in der Fol­ge regel­mä­ßig gefol­tert oder gar getö­tet. Bei dem Vor­ge­hen kam den Geheim­diens­ten eine ent­schei­den­de Rol­le zu. Ziel war vor allem, den Wil­len der fest­ge­nom­me­nen Regime­geg­ner zu bre­chen und die Bevöl­ke­rung einzuschüchtern.

Der Ange­klag­te war ab Febru­ar 2010 in der Abtei­lung 251 des – umgangs­sprach­lich “Staats­si­cher­heit” genann­ten – syri­schen All­ge­mei­nen Geheim­diens­tes tätig. Die­se Abtei­lung war für den Groß­raum Damas­kus zustän­dig. Der Ange­klag­te wech­sel­te im Juli 2011 in die Unter­ab­tei­lung 40, eine “Abräum- und Schlä­ger­trup­pe”, die zur Zer­schla­gung regime­kri­ti­scher Demons­tra­tio­nen ein­ge­setzt wur­de. Ihr gehör­te er bis zu sei­ner Deser­ti­on im Janu­ar 2012 an. Im Sep­tem­ber oder Okto­ber 2011 fand in einer süd­lich von Damas­kus gele­ge­nen Stadt eine Demons­tra­ti­on mit 3.000 bis 6.000 Teil­neh­mern statt. Wegen die­ser Kund­ge­bung waren ca. 1.000 Sicher­heits­kräf­te vor Ort im Ein­satz, dar­un­ter der Ange­klag­te. Der Lei­ter der Unter­ab­tei­lung 40 eröff­ne­te mit einer Maschi­nen­pis­to­le das Feu­er auf die fried­lich Pro­tes­tie­ren­den; wei­te­re Geheim­dienst­mit­ar­bei­ter schos­sen eben­falls auf sie.

Der Ange­klag­te und sei­ne Kol­le­gen ver­folg­ten dar­auf­hin die flie­hen­den Demons­tran­ten und ergrif­fen eine Viel­zahl von ihnen. Min­des­tens 30 Fest­ge­nom­me­ne wur­den mit Bus­sen zum Gefäng­nis­ge­bäu­de der Abtei­lung 251 gefah­ren, wobei der Ange­klag­te den Trans­port in einem der Bus­se beglei­te­te und sicher­te. Auf der Fahrt und nach der Ankunft schlu­gen Mit­ar­bei­ter der Abtei­lung die Men­schen, unter ande­rem mit Metall­roh­ren. Die so dem völ­lig über­füll­ten Gefäng­nis Zuge­führ­ten ver­blie­ben dort zwangs­wei­se zumin­dest für meh­re­re Tage. Sie wur­den wäh­rend ihres Auf­ent­halts sämt­lich gefol­tert. So waren sie zum weit über­wie­gen­den Teil sys­te­ma­ti­scher Gewalt durch Schlä­ge mit Werk­zeu­gen aus­ge­setzt. Die Haft­be­din­gun­gen gestal­te­ten sich katastrophal.

Das Ober­lan­des­ge­richt hat die­se Fest­stel­lun­gen dahin beur­teilt, dass das Vor­ge­hen des syri­schen Regimes ab Ende April 2011 sowohl die Vor­aus­set­zun­gen eines aus­ge­dehn­ten als auch die eines sys­te­ma­ti­schen Angriffs gegen die eige­ne Zivil­be­völ­ke­rung nach § 7 Abs. 1 VStGB, der Straf­vor­schrift über das Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit, erfül­le. Die 30 unter Mit­wir­kung des Ange­klag­ten fest­ge­nom­me­nen und zum Geheim­dienst­ge­fäng­nis ver­brach­ten Zivi­lis­ten sei­en im Sin­ne der Ein­zel­tat­be­stän­de Num­mer 5 und 9 die­ser Norm gefol­tert und in schwer­wie­gen­der Wei­se der kör­per­li­chen Frei­heit beraubt wor­den. Hier­zu habe der Ange­klag­te, der an den Gescheh­nis­sen in dem Gefäng­nis selbst nicht betei­ligt gewe­sen sei, Hil­fe geleis­tet (§ 27 StGB).

Die revi­si­ons­recht­li­che Über­prü­fung des Urteils durch den nach der Geschäfts­ver­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs bun­des­weit für alle Staats­schutz­sa­chen zustän­di­gen 3. Straf­se­nat hat kei­nen dem Ange­klag­ten nach­tei­li­gen Rechts­feh­ler erge­ben. Der Schuld­spruch hat sich auf der Grund­la­ge der rechts­feh­ler­frei getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen als zutref­fend erwie­sen. Der Ange­klag­te, der nach den Urteils­grün­den erheb­lich zur Auf­klä­rung von Taten eines vor­mals mit­an­ge­klag­ten lei­ten­den Offi­ziers der Abtei­lung 251 bei­getra­gen hat­te (§ 46b StGB), hat die Straf­zu­mes­sung gerügt. Der Straf­aus­spruch ist indes nach den revi­si­ons­recht­li­chen Maß­stä­ben nicht zu bean­stan­den gewe­sen. Mit der Ent­schei­dung des Senats ist das Urteil rechtskräftig.

Vor­in­stanz:
OLG Koblenz — 1 St 3/21 — Urteil vom 24. Febru­ar 2021

Maß­geb­li­che Vorschriften:

§ 7 VStGB – Ver­bre­chen gegen die Menschlichkeit

(1) Wer im Rah­men eines aus­ge­dehn­ten oder sys­te­ma­ti­schen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

5.einen Men­schen, der sich in sei­nem Gewahr­sam oder in sons­ti­ger Wei­se unter sei­ner Kon­trol­le befin­det, fol­tert, indem er ihm erheb­li­che kör­per­li­che oder see­li­sche Schä­den oder Lei­den zufügt, die nicht ledig­lich Fol­ge völ­ker­recht­lich zuläs­si­ger Sank­tio­nen sind,

9.einen Men­schen unter Ver­stoß gegen eine all­ge­mei­ne Regel des Völ­ker­rechts in schwer­wie­gen­der Wei­se der kör­per­li­chen Frei­heit beraubt oder
…,

wird … in den Fäl­len der Num­mern 3 bis 7 mit Frei­heits­stra­fe nicht unter fünf Jah­ren und in den Fäl­len der Num­mern 8 bis 10 mit Frei­heits­stra­fe nicht unter drei Jah­ren bestraft.

§ 27 StGB – Beihilfe

(1) Als Gehil­fe wird bestraft, wer vor­sätz­lich einem ande­ren zu des­sen vor­sätz­lich began­ge­ner rechts­wid­ri­ger Tat Hil­fe geleis­tet hat.

(2) 1Die Stra­fe für den Gehil­fen rich­tet sich nach der Straf­dro­hung für den Täter. 2Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

§ 46b StGB in der Fas­sung vom 29. Juli 2009 – Hil­fe zur Auf­klä­rung oder Ver­hin­de­rung von schwe­ren Straftaten

(1) 1Wenn der Täter einer Straf­tat, die mit einer im Min­dest­maß erhöh­ten Frei­heits­stra­fe oder mit lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe bedroht ist,

1.durch frei­wil­li­ges Offen­ba­ren sei­nes Wis­sens wesent­lich dazu bei­getra­gen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Straf­pro­zess­ord­nung auf­ge­deckt wer­den konn­te, oder
…,
kann das Gericht die Stra­fe nach § 49 Abs. 1 mildern, …

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…